Der junge Mann Luther: Eine psychoanalytische und historische Studie (suhrkamp taschenbuch) by Erik H. Erikson & Johanna Schiche

Autor:Erik H. Erikson & Johanna Schiche [Erikson, Erik H. & Schiche, Johanna]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Biografien & Erinnerungen, Nach Ländern & Kontinenten, Deutschland, Religion, Fachbücher, Geschichtswissenschaft, Neuzeit, Reformation, Politik & Geschichte, Deutsche Geschichte, Reformation & Gegenreformation, Epochen, Religion & Glaube, Christentum & Theologie, Heilige & Glaubensvorbilder, Kirchengeschichte
ISBN: 9783518467114
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2016-10-28T16:00:00+00:00

II

Luthers Klage, daß sein Vater ihn für seine mönchische Hochzeit nicht hergeben wollte, ist in mancherlei Beziehung bedeutungsvoll. Sie zeigt, wie sehr er zu glauben versucht hatte, daß er, der Sohn von Hans, sich mit der Passivität professioneller Buße und Zerknirschung würde zufriedengeben können – er, in dem die Schlagkraft eines der machtvollsten Geister seiner Zeit aufgespeichert war! Sein kindlicher Appell während des Festmahls verrät den gleichen Versuch der Selbsttäuschung. Kein Wunder, daß sein Vater nichts Gutes witterte. Kein Wunder auch, daß Martin in der ärgerlichen Erwiderung des Vaters Gottes Stimme vernahm. Sie war zugleich die Stimme ihrer Wesensverwandtschaft und ihrer gemeinsamen stolzen Überzeugung, daß ihr Teufel für verfeinerte Theologie zu gepfeffert und ihr Temperament für den braven Lebenswandel eines Mönches zu blutvoll sei.

Die geistlich fruchtlose Ordination beendete Martins Flitterwochen mit dem klösterlichen Leben und verurteilte die Ehe zu schließlicher Scheidung. Diese Scheidung ist der Grund dafür, daß Luthers restliche Klosterzeit im Rückblick kein einheitliches Bild ergibt. Während dieses Zeitraums selbst hatte man nicht viel über den reizbaren und dennoch eindrucksvollen Mönch als berichtenswert angesehen. Erst nach seiner dramatischen Trennung vom Mönchtum begannen er und die anderen Mönche seine Klosterjahre in bitterem Ernst zu bewerten. Aber was mit Scheidung endet, verliert im Rückblick alle Klarheit, weil eine Scheidung die Gestalt einer Liebe in zwei Gestalten des Hasses bricht. Nach der Trennung muß das Gelübde »bis daß der Tod uns scheide« zur Verpflichtung aufgrund falscher Voraussetzungen erklärt werden. Was einst Liebe war, wird nun Haß. Man kann unmöglich sagen, wie gut oder wie schlecht jeder Partner wirklich war. Man kann nur feststellen, daß sie nicht zueinander paßten. Und dann übernehmen die Anwälte die ganze Sache und hetzen sie in Kontroversen, an die keiner der beiden Partner je gedacht hat.

Später, als er selbst sein bester und schlechtester Anwalt geworden war, schrieb Luther einige großartige Abhandlungen, die einen neuen Geist der Ehe atmeten. Als Polemik schoben sie die alten Tatsachen und Theorien eher beiseite, anstatt sie wohldurchdacht anzugehen. Er historifizierte auch, besonders in privatem Kreise, in die alten Zustände die Bedeutung hinein, die sie subjektiv für ihn gewonnen hatten. In solchen Historifikationen offenbart er die ganze Geschwätzigkeit, Quengelei und Vulgarität eines unbeherrschten Geschiedenen. So versicherte er unter anderem, daß seine Oberen ihn in seiner Selbstquälerei durch den Rat zu ununterbrochenem Wachen, Beten und Lesen noch bestärkt hätten; das habe seine Gesundheit untergraben. Dagegen berichtet er aber selbst, daß er in dem besonders regnerischen Jahr 1510 von Erfurt nach Rom wandern und den Rückweg über die verschneiten Alpen nehmen konnte, ohne mehr als eine leichte Erkältung davonzutragen. Er klagte ebenfalls darüber, daß nach den Klosterregeln das Auslassen eines kleinen Wortes wie zum Beispiel »enim« während der Messe als Sünde betrachtet wurde, fast so schwer wie Ehebruch und Mord. Luther behauptete auch, daß er um das Recht und die Möglichkeit, die Bibel zu lesen, kämpfen mußte, während sie ihm in Wirklichkeit beim Eintritt ins Kloster in die Hand gelegt worden war als das einzige Buch, das sein persönlicher Besitz bleiben durfte. An der Bedeutung, die

Download

Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.